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FKT – Grosse Reibn

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„Was ist denn ein FKT?“. Da ich diese Frage schon sehr oft gestellt bekommen habe, hier gleich zu Beginn die Auflösung: FKT steht für Fastest Known Time und ist ein „Wettkampfformat“, das ohne Veranstalter und zeitlich ungebunden bestritten werden kann. Man sucht sich auf der Website eine Route aus (oder reicht eine Neue ein) und versucht diese so schnell wie möglich zu absolvieren. Kein Wunder, dass dieses Format einen regelrechten Boom erlebt, wurden doch alle Wettkämpfe bis auf Weiteres abgesagt. Die Vorteile liegen auf der Hand: Keine Anmeldung, keine Kosten (Spende) und vor Allem keine Veranstaltung, die Hygienkonzept etc. erfordern. Wer sich mehr dazu informieren will kann das hier machen.

Planänderung

Anfang des Jahres begann ich mit Lukas von movetothesky.com strukturiert auf den K65 beim Innsbruck Alpine Trailrun Festival zu trainineren. Als die Pandemie auch in Europa richtig Fahrt aufnahm, war es nur eine Frage der Zeit, bis das Event verschoben wurde. Als Alternative musste etwas Vergleichbares her. Der FKT Große Reibn – aufgestellt vom Blogger-Kollegen Steve Auch (uptothetop) – bot sich dafür hervorragend an.

Die Tour

65 Kilometer, 4800 Höhenmeter in unter 17 Stunden und 6 Minuten. Das war der FKT von Steve, aufgestellt im Oktober 2012. Wer sich den Track ansieht und sich etwas im Nationalpark Berchtesgaden und dem Steinernen Meer auskennt der weiß, was da auf mich zukommt. Das Gelände ist technisch teils sehr anspruchsvoll, die Markierungen zwischen Wasseralm und Kärlingerhaus sind spärlich und oft schlecht sichtbar und Schatten ist auf weiten Teilen der Strecke ein Fremdwort.

Der große tag

Die unmittelbaren Vorbereitungen beginnen schon Tage vorher. Das Trainingsvolumen sinkt und ich verbringe irgendwann mehr Zeit auf der Blackroll und der Yogamatte als am Berg. Ich schreibe mir einen Spickzettel und tausche mich mit Lukas, Sebi und Sarah in der Whatsapp-Gruppe „Große Reibn“ aus, da sie diesen Gewaltmarsch einen Tag nach mir auf sich nehmen werden. Dabei werden immer wieder Aspekte besprochen, um die sich ein Hobby- oder Straßenläufer nur wenig oder gar keine Gedanken macht. Natürlich ist das Training auf so einen Wettkampf ein wichtiger Baustein. Direkt auf dem Trail aber werden anderen Faktoren viel wichtiger. Die Ernährung bzw. Versorgung des Körpers mit Makro- und Mikronährstoffen, der Wasserhaushalt oder die Resilienz fallen nach Stunden andauernden Laufens natürlich mehr ins Gewicht, als die 100 Burpees, die ich vor vier Wochen nicht gemacht habe.

Deshalb wandern in meinen Dynafit Alpine 9 Rucksack hauptsächlich Nahrungsmittel und Gels. Ansonsten habe ich nur ein Wechselshirt, eine Regenjacke (man weiß ja nie) und das übliche Notfallequipment dabei.

Start: 5 Uhr, Königssee

Meine Garmin zeigt 4:50 Uhr, als ich am Königssee eintreffe. Der Tag ist noch nicht richtig angebrochen, doch das Thermometer zeigt jetzt schon 17 Grad an. Ich entschließe mich die Stirnlampe im Auto zu lassen und drücke um punkt 5 Uhr auf Start. Vom Tourismuszentrum Königssee gehts die ersten Meter vorbei an der Jennerbahn in Richtung Königsbachalm. Ich fühle mich gut und komme schnell voran. Als ich die Königsbachalm erreiche lässt das Morgenrot den Watzmann, der sich imposant hinter mir auftürmt, friedlich schimmern.

Zartes Morgenrot

Am Carl-von-Stahlhaus fülle ich meine Flasks das erste mal auf. Bis zur Wasseralm komme ich zwar am Seeleinsee vorbei, aber wenns nicht sein muss will ich daraus nicht unbedingt trinken. Die Sonne steht nun schon etwas höher und die phänomenale Morgenstimmung färbt buchstäblich auf mich ab.

Nach 2h8m erreiche ich den Schneibstein. Für das was ich vorhabe eine sehr gute Zeit … zu gut? Das wird sich noch zeigen. Kurz einen Riegel verputzt und schon gehts weiter. Der Trail taucht nun immer tiefer ins Hagengebirge ein. Erwartungsgemäß bin ich gänzlich alleine. Die Gipfel zu meiner Rechten werfen von Minute zu Minute mehr Licht zurück ins Tal. Erst noch rötlich, später dann orangefarben. Hier ist die Welt in Ordnung. Ich laufe hinunter zum Seeleinsee und von dort hinauf zum Hochgschirr.

Good Vibes am Seeleinsee

Vom Hochgschirr gehts nun wieder steil hinunter zur Wasseralm. Von steinigen Serpentinen bis hin zu völlig fluffigen Singletrails durch eine blühende Waldlandschaft ist alles dabei.

Wer hat jetzt den Ofen angmacht?

Bester Dinge nähere ich mich der Wasseralm und checke kurz auf dem Handy ob ich noch richtig bin. Ich bin es, nur noch wenige Meter. Ich trete aus dem Schatten des Waldes. Das war wohl noch die letzte Bastion der Sub 30 Grad Zone. In dem Talkessel der Wasseralm steht die Luft nun und drückt extrem, obwohl es erst kurz nach 9 Uhr ist. Am Brunnen fülle ich alle Flasks auf, 2 Liter wandern in meinen Rucksack. Bis zum Kärlingerhaus werde ich auf kein Wasser treffen und wohl auch auf keine Menschen.

Wasseralm

Gut 2h30m sollte ich über die Niederbrunnsulzen bis zum Kärlinger Haus benötigen. Auf den ersten Metern hinauf ins Steinerne Meer drehe ich mich nochmal um und blicke ein letztes mal hinüber zum Hochgschirr. Ein wunderbarer Anblick.

Blick hinüber zum Hochgschirr

Der Streckencheck, den ich 10 Tage zuvor durchgeführt hatte, zahlt sich jetzt aus. Die Markierungen sind nicht mehr die besten und in dem verkarsteten Gelände ohnehin nicht immer leicht auszumachen. Ich versteige mich kein einziges mal ernsthaft und komme für das Gelände schnell voran.

Hinauf ins Steinerne Meer

Glücklicherweise ziehen des Öfteren dicke Quellwolken vorüber und spenden Schatten. Auch der leichte Wind ab und an ist erfrischend. Ich bin mittlerweile in der „Langen Gasse“ und kämpfe mich zum höchsten Punkt der Tour empor. Wobei kämpfen das falsche Prädikat ist. Mir gehts gut! Die Beine sind immer noch frisch, es tuts nichts weh und es ist nicht so heiß, wie ich es mir ausgemalt hatte. Aber es steht ja noch einiges bevor. Der Downhill zum Kärlinger Haus macht mächtig Bock und streckenweise habe ich das Gefühl zu fliegen. Am Kärlinger Haus trete ich kurz aus, fülle die Flasks auf und verlasse dieses um 12:16 Uhr.

Der Mann mit dem Hämmerchen

Doch alle Euphorie hält nicht lange an. Irgendwie sind die Beine nach dem Downhill nun nicht mehr so flott. Dass die Sonne im Zenit steht und die Luft sich kein bisschen bewegt tut sein Übriges. Vielleicht ist es wieder Zeit ein bisschen zu essen? Ach was, ich bin seit gut 7 Stunden eigentlich durchgehend am futtern. Alle 30-40 Minuten verschwindet ein Riegel, Gel oder ein paar Gummibärchen in meinem Mund. Ich werde aus meinen Tagträumen gerissen. Da – das Ingoldstädter Haus!

Ingolstädter Haus

Es ist schon irgendwie seltsam. Das Haus ist gleichzeitig ganz nah und doch so weit weg. Eine gemeine optische Täuschung, aber ich bin darauf vorbereitet. Nach knapp 8 Stunden passiere ich das Ingolstädter Haus. Eine gefühlte Stunde habe ich darüber sinniert, ob ich hier nach Salz fragen sollte. Da es mir direkt am Haus wieder besser geht laufe ich einfach dran vorbei… Das war keine gute Entscheidung, wie sich herausstellen wird. Aber jetzt freue ich mich erstmal auf den kurzen Downhill unterhalb des großen Hundstod. An der Abzweigung beim Dießbachstausee biege ich rechts ab und steige zur Hochwies auf.

im Paradies

Ok, wow. Was ist denn jetzt los. Beschwerlich kämpfe ich mich die wenigen Höhenmeter nach oben. Ich komme an einer Familie vorbei, die im Dießbach badet und eine richtig gute Zeit hat. Als ich vorbeischleiche verstummen sie kurz. Ein krächzendes „Servus“ entfleucht meinen Lippen und ich kann ihre Gedanken nun breit auf der Stirn lesen – „Alles klar bei dir, Bruder?“ – „Grade nicht, aber des wird schon wieder“ antworte ich mir selbst. Am Fuße der Hochwies angekommen kann ich nicht widerstehen. Ich werfe meinen Rucksack ab, ziehe die Schuhe aus und genehmige mir ein kurzes Bad im eiskalten Dießbach.

Hochwies

Wie ein Phoenix aus der Asche erhebe ich mich aus dem plätschernden Gebirgsbach. Ich bin geheilt von allen Schmerzen, bin befreit von allen negativen Gedanken und vor allem gereinigt von der Sonnencreme-Salz-Pampe der letzten Stunden. Frohen Mutes setze ich die ersten Schritte in diese Landschaft, die epischer nicht sein könnte.

Der Mann mit dem Hammer

Der Phoenix entpuppt sich als kleines Vögelchen, dass zu früh aus dem Nest gefallen ist und nun blind und orientierungslos nach Futter sucht. Der Anstieg zur Wimbachscharte ist eigentlich nicht weit, doch die 300 Höhenmeter werden zur Geduldsprobe. Nun kommt ein weiterer Schlüsselfaktor ins Spiel. Die Resilienz: Dass ein Ultra-Marathon für den Körper eine außerordentliche Belastung darstellt, leuchtet jedem ein. Aber auch die mentale Belastung kann imens werden. Plötzlich scheinen die eigenen Überzeugung nicht mehr so viel Sinn zu ergeben.

Warum nicht einfach stehenbleiben? Was bringt mir das denn überhaupt? Interssiert doch eh keinen, dass ich hier irgendwo rumgurke. Die Lunge tut auch irgendwie weh, was wenn ich hier umkippe? Ok, Stop.

das nervige Ich

Ich bleibe auf der Hälfte der Strecke kurz stehen, sezte mich auf den Weg und lasse den Blick über das Hochwies schweifen. Ich muss die Gedanken sortieren, mit dem Mindset schaffe ichs sicher nicht ins Ziel.

Wenn deine Lunge 2 Schachteln L&M an einem Abend verkraftet hat, dann sicherlich auch das hier. Dein Körper lebt und adaptiert sich, das ist gut. Die anderen warten an der Wimbachbrücke auf dich und jetzt zeig ich ihnen mal, was in diesen Storchenbeinen drinsteckt!

Das mutige ich

Und das waren vielleicht 2 Minuten.
Draußen tobt der Kampf Mensch gegen Berg – und Drinnen tobt eben der Kampf Ich gegen Selbst.
Der Mann mit dem Hammer ist man schlussendlich immer Selbst. Um zu sehen wie groß der Hammer war, mit dem man getroffen wurde, muss man nur in die eigene Hand sehen.

Der Loferer Seilergraben

Ich erreiche die Wimbachscharte und gönne mir am oberen Ende noch ein paar ruhige Momente. Ich dehne die Oberschenkel, stretche mich einmal komplett durch und esse eine Kleinigkeit. Vor mir liegt die wohl kniffligste Passage der ganzen Tour. Glücklicherweise sind die Beine im Downhill noch 1A und somit passt auch das Mindset wieder. Trotzdem ist der Respekt groß als ich die ersten Schritte über die Kante setze.

Seilergraben

Eine Stunde später komme ich wohlauf an der Wimbachgrieshütte vorbei. Nun wird es laufbar. Ich packe die Kopfhörer aus und lege etwas Drum’n’Bass auf. Wie ein großer Baumstamm während einer Flut treibe ich aus dem Gries. Das Tempo passt und ich liege immer noch sehr gut in der Zeit. Auch wenn die angepeilten 13 Stunden schon sehr sportlich wirken. Am Parkplatz Wimbachbrücke treffe ich auf bekannte Gesichter. Erst sehe ich Sebi, dann Sarah und schließlich Lukas. „Du siehst eh noch gut aus“ – Eine fast groteske Feststellung, wie mir anmutet. Aber anscheinend trägt mein Äußeres dem Inneren noch nicht Rechnung. Am Kiosk gönne ich mir einen Flutschfinger. Vielleicht die zweite Fehlentscheidung des Tages. Mit dem Eis in der Hand und einem „Oh Gott ist das geil“ im Kopf mache ich mich auf den Weg.

Der letzte Akt

Der finale Anstieg hinauf zum Grünstein wird zur Zerreißprobe. Der Körper will nicht mehr. Rock Bottom – Here I am. Ich muss mehrmals mein ohnehin sehr langsames Gehen unterbrechen und stehenbleiben. Das fehlende Salz und das Eis beschwören einen nicht enden wollenden Durst herauf. An jedem Bachlauf trinke ich einfach ohne Umwege raus. Irgendwann gebe ich es auf. Der Durst bleibt ja doch. Über eine Stunde später passiere ich den letzten Peak und hoffe im Downhill noch etwas Boden gutmachen zu können. Nichts da – der Ofen ist aus. Rock Bottom – gekommen um zu bleiben. Knieschmerzen, Seitenstechen und zahlreiche andere Stellen am und im ganzen Körper schmerzen. Ich schleppe mich hinunter zum Königssee. Da ist die Rodelbahn, es ist nicht mehr weit. Mit letzten Kräften steuere ich auf das Tourismuszentrum zu, von dem ich vor fast 14 Stunden aufgebrochen bin. Im „Ziel“ stehen meine Eltern, Sebi, Lukas und Sarah. Ich war noch nie so glücklich durch eine ausgerollte Klopapierrolle zu laufen, während Vangelis‘ „Conquest of Paradise“ aus irgendeinem Handy dudelt. Um 18:50 Uhr nach 13 Stunden, 50 Minuten und 33 Sekunden bin ich angekommen – endlich!

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6 Kommentare

  1. Steve 4. August 2020

    Geiler Bericht!
    Herzlichen Glückwunsch zum FKT!

    Hartes Ding und glaub mir, ich kann jeden Zentimeter mit dir fühlen.

    Viele Grüße

    Steve

  2. Hilde 26. August 2020

    Der Wahnsinn! -Suuuper Leistung!

  3. Johannes 24. September 2020

    Sehr cooler Beitrag und echt interessant!
    Höchsten Respekt – aber leicht verrückt bist du ja schon 😀

    Gruß aus Ingolstadt
    Joe

  4. Sarah 28. September 2020

    You’re the champ! 🙂

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