Der geplante Trailurlaub in Südtirol konnte leider nicht wie geplant stattfinden. Die Entscheidung fiel gut 8 Stunden vor der geplanten Abfahrt. Es wäre also alles angerichtet gewesen für ein paar unvergessliche Tage in den Bergen – der Rucksack war gepackt, die Stelzen justiert und die Gelenke geschmiert. Die Entscheidung dafür am Sonntag eine andere Tour zu starten war schnell gefällt. Kurzerhand nutzte ich das frisch abgeschlossene Outdooractive-Pro Abo für eine Tourenplanung, die gleich mehrere Gipfel meiner Bucketlist beinhalten sollte. Die Seite westlich des Königssees kannte ich bereits hinreichend: Watzmannüberschreitung (2015), Hochkalterüberschreitung (2018) und Hocheck (2019). Aber östlich, ins Hagengebirge, hatte es mich bis dato noch garnicht verschlagen. Unvorstellbar. Also mussten der Hohe Göll und das Hohe Brett auf alle Fälle in der Tourenplanung Platz finden. Und wenn ich schonmal da bin, dann kann ich auch gleich noch die Kleine Reibn mitnehmen. In allem Übermut sah mein GPX-Track auch noch einen Besuch der Wasseralm und der Fischunkelalm vor. Dazu aber später mehr.
Um kurz nach 9 Uhr starte ich am Parkplatz Hinterbrand. Nach gut einem Kilometer realisiere ich, dass ich die geplante Route falsch herum begonnen hatte. Also wieder auf Anfang und diesmal starte ich richtig herum. Ich verlasse den Parkplatz Hinterbrand in östlicher Richtung auf der Scharitzkehlstraße. Nach gut 200 Metern zweigt nach rechts der Aufstieg über das Alpeltal ab. „Hoher Göll 4 1/2h“ teilt mir die Wegmarkierung mit: Challenge Accepted. Es dauert nicht lange, ehe auf dem noch sehr bewaldeten Trail die Hände zum Einsatz kommen müssen.
Das Grün weicht relativ schnell blankem Stein, ebenso wie Bäume sehr schnell durch Latschen ausgetauscht werden. Das „alpine Feeling“ stellt sich also relativ schnell ein, es soll ja aber auch kein Spaziergang werden. Die Anfangs dichte Wolkendecke verdünnisiert sich ebenfalls zügig und macht Platz für einen wunderbar sonnigen Tag in den Bergen. Der karstige Untergrund aber lässt kein allzu tiefes Versinken im Moment und den eigenen Gedanken zu. Einserseits ist natürlich entsprechend Vorsicht geboten, um sich nicht zu verletzen, andererseits gibt die kahle Umgebung keine natürliche Wegeführung und so muss ich ständig nach der Markierung Ausschau halten. Nicht nur einmal sind meine Beine schneller als der Rest und ich muss Innehalten und mich orientieren. Das mindert den Spaß an der Sache natürlich nur unwesentlich bei solch einer Aussicht.
Bis zum Fuße des Göll-Massivs überhole ich genau 4 Personen, mehr werden es auch nicht bis zur Abzweigung Göll-Brett. Da ich diese Tour als Testlauf für die Ausrüstung betrachte, navigiere ich auch mit meiner Garmin Fenix 5X. Immer wieder schaue ich auf die Uhr, ob ich eigentlich noch grob richtig bin. Teilweise mischen sich nämlich alte Markierungen mit Neuen und führen mich etwas abseits des Weges. Man kann sich zwar nicht allzu sehr verlaufen, aber im Angesicht der noch bevorstehenden Distanz will ich mir noch mehr unnötige Meter ersparen. In der Nachbetrachtung sieht mein GPX-Track über der Karte von Strave dann folgendermaßen aus.
Subjektiv betrachtet ist das Alpeltal ein wunderbarer Ort. Abseits von Menschenmassen kann man hier bei völliger Ruhe aufsteigen, zumindest ist es an diesem Tag wirklich ruhig. Das Hirnkastl sollte man dabei aber einschalten. Nach gut 2h komme ich an der Abzweigung zum Göll an. Das Gestein unter den Füßen wird nun lockerer, die Sonne brennt gnadenlos herab, was ich aber durch den noch kühlen Wind erst am Folgetag bemerken werde. Vorbei an einem kleinen vorgelagerten Kreuz zeigt sich mir der Gipfel des Hohen Göll das erste Mal, noch etwas in Nebel gehüllt.
Wenige Minuten später kann ich den ersten Haken auf meiner Bucketlist setzen. Hoher Göll – check!
Einen Seitenbacher-Riegel und 15 Minuten später mache ich mich wieder auf den Weg – nächster Halt: Hohes Brett.
Die gut 3 bevorstehenden Kilometer aber haben es technisch in sich. Es gilt Altschneefelder zu queren, seilversicherte Passagen zu erklimmen und auch Teilstücke mit absolut erforderlicher Schwindelfreiheit sind zu absolvieren. Mehrmals kommen mir Wanderer, höchstwahrscheinlich Urlauber, unter, die sich für meine Einschätzung etwas zuviel zugemutet haben. Für halbwegs erfahrene Hobbyalpinisten aber ist der Weg genau das Richtige. Ich komme zwar nicht so schnell wie geplant vorwärts, ist mir aber auch ziemlich egal heute. Der Moment ist heute wichtiger als die Uhr!
Nach der kurzen, aber eindrucksvollen Gratüberschreitung wird das Gelände nun flacher, breiter – eben wie ein Brett. Die letzten Meter hin zum Hohen Brett lassen sich im Laufschritt zurücklegen.
Gedanklich den zweiten Haken machend verlasse ich das Hohe Brett in Richtung Jägerkreuz. Ab dem Jägerkreuz, das nur ein paar Meter weiter liegt, wirds dann wieder etwas technischer und steiler. Immer im Blick habe ich dabei den Jenner und dahinter den Watzmann, ab und an blitzt auch das Schneibsteinhaus in der Nähe hervor.
Hier zu sehen ist das Schneibsteinhaus, das nur gut 300 Meter vom Carl-von-Stahl-Haus entfernt liegt.
Nach 4h komme ich am Carl-von-Stahl-Haus an. Es gibt ein Alkoholfreies Weißbier und ein Stück Apfel-Mohn-Torte. Um meine Flasks im Anschluss auffüllen zu lassen, muss ich mir extra eine Flasche Wasser kaufen. Laut Schankkellner „haben sie gerade kein Wasser“ – seltsam, aber ok. Der Kuchen und das Weißbier schmecken und die Preise sind vollkommen ok.
Frisch gestärkt und mit aufgefüllten Wasservorräten (ich habe insgesamt nur 1 Liter dabei) mache ich mich ab hier auf die Kleibe Reibn auf. Der Aufstieg zum Schneibstein ist keine große Sache. Auf dem gut vorgetrampelten Pfad komme ich schneller als bisher voran. Schatten allerdings spendet auch hier kein Bäumchen mehr. Auch der Wind hat sich indessen gelegt und sorgt nun für gefühlt noch höhere Temperaturen. Eine knappe Stunde später erreiche ich den Gipfel des Schneibstein. Das Panorama ist atemberaubend. Auf der einen Seite der Watzmann, etwas weiter türmt sich der Hohe Göll auf, hinter mir liegt das restliche Hagengebirge und zu meinen Füßen legt sich das Steinerne Meer. Ich habe versucht es in einem Panoramafoto einzufangen. Es gelang mir nicht in dem Maße, als dass ich die hohen Ansprüche an die Qualität der Fotos dieses Blogs sicherstellen könnte 😉 Deshalb gibts nur ein Foto vom Gipfelschildchen mit Blick auf den Göll, wo ich hergekommen bin.
Ich folge dem Pfeil zur Windscharte und laufe entlang der Deutsch-Österreichischen Grenze unterhalb des Windschartenkopfs vorbei. Hier lässt das Gelände ein paar Meter im Laufschritt zu. Der bis obenhin bepackte Salomon Agile 12 Rucksack macht eigentlich eine erstaunlich gute Figur. Da wackelt wenig bis nichts und es scheuert auch nichts an den Trägern. Unter der gleißenden Augustsonne aber sind die 1 Liter Flüssigkeit doch knapp bemessen. Ich nehme alle 20 Minuten ein bis zwei Schluck aus den Flasks und hoffe auf eine Wasserstelle. Die Laufpassage entdet kurz nach dem Windschartenkopf.
Auf dem Weg kommen mir im Verhältnis zur Gesamtmenge erstaunlich viele Junge Menschen unter. Die Kleine Reibn hat in diesem Jahr, mutmaßlich durch Instagram & Co, wohl einen Sprung in der Bekanntheit gemacht. Zumindest ist das meinem Instagram-Feed zu entnehmen. Ich kann mich hier natürlich nicht ausnehmen, auch wenn ich nichtmehr sooo jung bin 😉 Nach insgesamt 20 Kilometern und 5:30h Gehzeit erreiche ich den Seeleinsee. Die Abkühlung ist mehr als Willkommen!
Gut 10 Minuten kneipe ich durch das gefühlt 18 grad kalte Wasser. Die Beine werden wieder frischer. Aber die waren bis hierher eigentlich nicht das Problem. Meine Uhr ist immernoch der festen Überzeugung, dass noch 15 Kilometer bevorstehen. Ich bin mir der Sache da nicht mehr so sicher. Das hat zwei Gründe: Erstens neigen sich meine Wasserreserven langsam dem Ende. Zumindest ist auf absehbare Zeit Ebbe angesagt und da ich den Weg nicht kenne, weiß ich nicht wann ich das nächste Mal nachfüllen kann. Zweitens neigt sich auch der Nachmittag langsam dem Ende (es ist ungefähr 16 Uhr). Kurz nach dem Seeleinsee treffe ich bereits auf eine Abzweigung. Rechts gehts auf der Kleinen Reibn weiter. Geradeaus gehts übers Hochgschirr und das Saumösl hinab zum Obersee. Ich entscheide mich für Letzteres. Auf dem Hochgschirr werfe ich nochmal einen kurzen Blick zurück.
Nur 15 Minter später kehre ich doch um. Der Blick auf die gut 800 Höhenmeter hinab in die Röth haben mich überzeugt. Hier und heute nicht. Ich kehre um und mache mich somit auf den Heimweg. Es vergeht noch einige Zeit, bis ich am Abwärtsgraben (das Teil heißt laut OA-Karte tatsächlich so) endlich H2O in flüssiger Form finde!
Nur ein paar hundert Meter weiter aber steht schon die Priesbergalm. Und wie sie dasteht. Direkt vor dem angeschlossenen kleinen Biergärtchen türmt sich der Watzmann imposant auf. Die aufgestellten Wieninger-Schirme ziehen mich geradezug magisch an. Leider komme ich zu einer ungünstigen Zeit. Die Sennerinnen sind im Stall – noooooo!
Nun gut, heißt für mich, dass ich hier definitiv ein ander Mal vorbeischauen muss. Von der Priesbergalm bis zum Parkplatz Hinterbrand sind es noch 6 Kilometer. Meistens gehts auf der Forststraße dahin, aber die Aussicht ist immernoch wunderbar. Nach 30 Kilometern und 7h11m komme ich wieder in Hinterbrand an – mit schweren Beinen und einer Menge guter Momente im Kopf.